Wolfgang: Bist du schon immer politisch aktiv gewesen?
Denise: Nein, gar nicht! Ich bin tatsächlich jemand, der über Ökos gelästert hat. Zwar habe ich schon Anfang der 90er Jahre diese Spiegel-Extra-Ausgabe über den Club of Rome und die Grenzen des Wachstums gelesen, aber ich bin damals genauso wie viele andere auch darauf reingefallen: Wenn man so etwas der Politik signalisiert, dann handeln die auch. Dass dem nicht so war, habe ich gar nicht richtig mitbekommen – es kamen dann die Kinder und wir haben versucht, unser Leben auf die Reihe zu bekommen. Also, bin ich in der Sache gutgläubig den bequemen Weg gegangen.
Tatsächlich bin ich erst so im Herbst 2018 durch die Rede von Greta Thunberg in Katowice aufgewacht. Und was mich auf einer anderen Ebene schon vorher angesprochen hat, war die Rede von Alexander Gerst von der ISS. Er in der Kapsel, mit der Erde im Hintergrund und wie er als Wissenschaftler dieses Thema so gründlich und eindringlich dargelegt hat. Das hat bei mir so einen Schalter umgelegt, wo ich gesagt habe, wir haben da ein Problem.
Bei mir ist es dann immer so, wenn ich ein Problem sehe oder irgendwas mich interessiert, dann lese ich, was ich darüber in die Finger bekommen kann. Also habe ich die Suchmaschinen im Internet durchforstet. Das hat eine Woche gedauert und dann merkte ich, wir haben da ein ganz heftiges Problem. Und dann habe ich angefangen, mich zu engagieren. Das war im Januar/Februar 2019.

Wolfgang: Das leitet auch gleich zur nächsten Frage über: Wie und wann bist du zu den Parents gekommen?
Denise: Also, ich habe halt auch im Internet immer mehr die Fridays for Future verfolgt und dann hat in Nordrhein-Westfalen das Kultusministerium angefangen, Druck auf die Schüler*innen auszuüben und die Eltern haben angefangen, sich hinter die Schüler*innen zu stellen. Das hat mich als Mutter natürlich sehr angesprochen und ich hab dann bei Twitter den Hashtag „Parents for Future“ gesehen und dadurch erfahren, dass es in Berlin noch weitere engagierte Eltern gibt. Wir haben uns im Februar das erste Mal getroffen und ab Ende Februar bin ich auch immer zu den Demos von den Fridays gegangen. Dort habe ich dann immer wieder die anderen Parents getroffen.

Wolfgang: Wir springen jetzt mal ein wenig – kommen aber auf die Parents auch noch mal zurück. Wann und wodurch ist der Funke dann übergesprungen, dass du dich jetzt so intensiv bei Extinction Rebellion engagierst?
Denise:  Der Kohlekompromiss im Frühjahr hat schon ziemlich deutlich gezeigt, dass der Druck auf der Straße von der Politik einfach ignoriert wird und bei dem Thema sehr viel beschwichtigt wird.
Bei den Parents haben wir zu der Zeit Unterschriften für eine Bundestagspetition für ein Klimaschutzgesetz gesammelt. Mich beschlich aber ein Zweifel, ob diese Aktion etwas bei der Politik bewegen würde. Ich hab dann Bilder von der Frühjahrsaktion von Extinction Rebellion in London gesehen und drüber gelesen.
Also habe ich bei Facebook geguckt und bin zum Plenum am Teutoburger Platz gegangen. Da waren vielleicht so 60 Leute und ich fand die Art, wie die Menschen untereinander agiert und sich schnell zusammengeschlossen haben, das fand ich gut. Ich merkte, ich muss mehr machen als Unterschriften sammeln und ich bin auch bereit, mehr zu machen. Am nächsten Wochenende war ich beim ersten „Die In“ von Extinction Rebellion Berlin am Gendarmenmarkt dabei. Das war schon eine sehr durchdachte Aktion, die auch öffentlichkeitswirksam war.
Ich war dann bei den Parents und bei Extinction, aber irgendwann war meine Kapazitätsgrenze erreicht. Ich muss ja noch arbeiten und der Tag hat leider nur 24 Stunden. Mit Mitte fünfzig komme ich halt auch nicht mehr auf Dauer mit 4 Stunden Schlaf aus.
Es war so, dass ich gesehen habe, bei Extinction kann ich meine Skills noch effektiver einbringen. Ich bin auch bereit, mich auf die Straße zu setzen. Aber der Kontakt zu den Parents ist immer irgendwie da. Und wenn mal Not am Mann oder an der Frau ist, bin ich mit da – wie z. B. am Weltkindertag. Da hatte ich für den Stand zugesagt und hab die Parents unterstützt. Die Vernetzung ist auch super wichtig. Wir dürfen uns nicht zerstreiten, sondern müssen immer zusammen agieren und uns gegenseitig stützen.

Wolfgang: Also, das wäre auch so meine Frage, wie viel Parent bist du jetzt noch?
Denise: Das ist eine lustige Frage, weil ich immer Eltern bin und damit auch immer Parent bin und sein werde. Also, ich bin Parent for Future und werde immer ein Stück Parents for Future bleiben, weil es für mich auch keine scharfe Trennung da gibt. Es gibt nur „One Struggle, One Fight“.
Wir sind doch alle Teil einer Bewegung. Wir haben alle dieses Ziel, für die kommenden Generationen die Zukunft zu retten. Ich meine – ich bin jetzt mal deutlich – es geht doch nicht nur darum, unseren weißen Arsch hier in Europa zu retten. Es sterben heute schon Menschen. Und das findet bei Extinction Rebellion z. B. mehr Beachtung. Klimagerechtigkeit über die Generationen hinweg zu fordern, ist eine sehr europäische Sicht, auch damals eher die Sicht der Parents. Meine Sichtweise hat sich durch Extinction in den letzten Monaten ein Stück weit geändert.
Hier und jetzt gibt es schon Menschen, die das Risiko eingehen, ihr Leben zu verlieren, jeden Tag. Kinder, die, wenn man sie fragt: „Was ist deine größte Angst?“, die Sonne malen. Und das, finde ich, wird bei Extinction stärker berücksichtigt und es ist für mich auch eine Herzensangelegenheit. Deutlich zu machen: Klimagerechtigkeit beginnt jetzt, hier und heute, in dieser Sekunde!

Wolfgang: Ja, ich weiß nicht, ob du mit der nächsten Frage etwas anfangen kannst – gibt es etwas, damit du wieder vollkommen zu den Parents zurückkehren würdest?
Denise: Es gibt eigentlich nur einen Fall, in dem ich zurückkehren würde, und zwar, wenn Extinction Rebellion von der Gewaltfreiheit abrücken würde. Das ist für mich ein absolutes No-Go. Ein „First we save our people and then we get our humanity back“ ist für mich nicht der Weg. lm Zweifelsfall eher mit Ethik und Moral untergehen. Auf jeden Fall gewaltfrei! Das sage ich aber heute – wer weiß, wie das in 5 oder 10 Jahren ist?

Wolfgang: Hattest du in deiner aktiven Zeit bei dem Parents Kontakt zu Fridays for Future?
Denise: Ja, wir hatten natürlich Kontakt zu Fridays for Future – zum einen durch die Demos im Invalidenpark und später habe ich dann z. B. versucht, mit einer jungen Dame von Fridays for Future beim Berliner Basketballverband für den Großen Klimastreik am 20.09.19 zu mobilisieren. Ich sehe da nicht so eine Trennschärfe, so dass man entweder das eine ist oder das andere. Es ist ungefähr so, wie wenn die Pinguine von „Am Boden bleiben“ zu Blockaden aufrufen und man Zeit hat, dann ist man da mit dabei. Und wenn Ende Gelände Ende November in die Lausitz geht, dann supportet man das. Bei meinen Onboardings für Extinction Rebellion habe ich diese beiden Termine auch mit beworben – genau so, wie ich die Fridays for Future-Termine mitteile. Ich sehe das nicht so trennscharf.

Wolfgang: Und was würdest du jetzt so ganz neuen Parents raten, wie sie gut reinkommen in die Bewegung?
Denise: Ich sehe zwei Dinge auf zwei unterschiedlichen Ebenen: Also, um da generell reinzukommen: Hingehen und machen. Nicht darauf warten, dass jemensch sagt: „Komm mal her und mach dies.“ Einfach selber machen. Und das ist in der Klimabewegung jetzt wirklich das Allerwichtigste, dass die Leute, die verstanden haben, dass wir ein ernsthaftes Problem haben, sagen: „So, ich stehe jetzt auf und ich mache!“ Oder wenn jemand einen Stand geplant hat – dann mitmachen! Dann trifft man die Leute, bekommt Kontakte, wird involviert und dadurch wird man selber auch viel aktiver.
Dann komme ich zu der anderen Ebene: Durch dieses Aktive wird es irgendwie … nicht leichter, aber ein Stück weit verkraftbarer, mit dem Thema umzugehen. Extinction Rebellion hat dieses „Hope dies, Action begins“-Motto. Wenn wir in unserer ersten Welt merken, dass wir gar keine Mechanismen haben, mit solchen Bedrohungen umzugehen, dann hilft einem die Gemeinschaft und dieses aktiv Sein, damit umzugehen. Es hilft, dass man durchhält und dass es einen nicht lähmt.

Wolfgang: Und woher nimmst du deinen Optimismus, dass alles gut wird?
Denise: Den habe ich verloren. Tatsächlich glaube ich nicht mehr, dass alles gut wird. Aber die Frage könnte ja auch lauten: „Woher nehme ich die Kraft, trotzdem weiter zu machen?“ Da kann ich zwei Sachen zitieren und das ist meine Standard-Antwort darauf: Kate Marvel, Klimaforscherin vom Goddard Institute der NASA hat auf die Frage, ob sie in ihren Vorträgen nicht irgendwie Hoffnung geben kann, geantwortet: „Ich habe keine Hoffnung mehr und wir brauchen auch keine Hoffnung. Was wir brauchen ist Mut. Mut ist, das Richtige zu tun, ohne zu wissen, ob die Geschichte gut ausgeht.“
Und das zweite habe ich letzte Woche gefunden in einem Interview von einem Risikoforscher aus Australien. Der hat auch ganz knallhart gesagt, dass er nicht mehr sieht, dass die Sache gut ausgeht, weil die Politik einfach nicht aktiv genug ist. Weil offensichtlich keiner verstanden hat, von welchen Gefahren wir hier reden. Er könne sein Engagement nur durchhalten durch „Pessimismus des Verstandes und Optimismus des Handelns“. Da habe ich mich auch extrem wiedererkannt.

Wolfgang: Was haben wir jetzt noch nicht gesagt, was du noch gerne sagen möchtest?
Denise: Spread the word! Wir müssen jeden unterstützen, der irgendwo öffentlich auftreten und die tragischen Zahlen, die harten Fakten verbreiten kann.
Wir müssen raus aus unserer Komfortzone. Uns geht es hier in Deutschland noch gut. Wenn ich hier auf der Straße sitze, fassen mich die Polizisten mit Samthandschuhen an. In anderen Teilen der Welt ist das nicht so. Da stehen Leute auf, um ihr Leben zu retten, aber auch um unser Leben zu retten. Die werden dann niedergeschlagen, werden verletzt und getötet – das dürfen wir nie vergessen!

Wolfgang: Denise, vielen Dank für dieses ausführliche Interview.

Ergänzung Anfang 2020: 
Wolfgang: Denise, wenn du das Interview jetzt nach etwa 2 Monaten nochmals liest, was hat sich in der Zeit noch mal verändert?
Denise: Wenig, wenn ich auf die Politik gucke. Da habe ich immer noch das Gefühl, dass die Klimakrise als ein Problemfeld unter vielen gesehen wird. Als wenn die Klimabewegung über den Winter schon verschwinden würde. Als wenn die wissenschaftlichen Fakten, die Physik mit verhandeln und faulen Kompromissen beschwichtigt werden könnten. Wenn ich weltweit gucke, hat sich viel getan. Leider viel zu viel negatives. Viele Forscher*innen gehen davon aus, dass wir erleben, wie die ersten Kipppunkte fallen. Der Westantarktische Eisschild gilt als verloren, Bilder aus Australien sehen aus wie Vorboten der Apokalypse, die Permafrostböden tauen… All das macht mir Angst, nimmt mir die Hoffnung. Zumal immer wieder Männer gewählt werden, die Klimaleugner sind, in manchen Fällen würde ich sogar Klimaverbrecher sagen. Doch weltweit stehen Menschen auf, schließen sich den Klimabewegungen an. Junge Menschen, alte Menschen, Prominente und Normalos wie du und ich. Und weil ich so gerne zitiere: „Sie wollen gewinnen, indem sie dich glauben machen, dass du allein bist. Doch wir sind nicht allein. Wir sind viele.“ – By 2020 We Rise Up!