Anna Maria Mangei ist Ärztin und setzt sich jeden Tag dafür ein, Menschenleben zu retten. Doch das tut sie nicht in einem Krankenhaus. Nach der Beendigung ihres Studiums steht seit dem 6. November jeden Werktag von 9 Uhr bis 15 Uhr vor dem Bundeskanzler*innenamt und streikt gegen die aktuelle Klimapolitik und gegen Rechtspopulismus. Mit dieser Aktion könne sie effektiver Leben retten als mit der Aufnahme ihrer Arbeit, sagt die Medizinerin. Wolfgang hat mit ihr gesprochen:

Wolfgang: Bist du schon immer klimapolitisch aktiv gewesen?
Mia: Nee, ich war nicht schon immer klimapolitisch aktiv – ich war zwar auf Demos und hab mich stark mit dem Thema beschäftigt und sogar mein Medizinstudium in Frage gestellt, aber dann irgendwie trotzdem abgeschlossen. Jetzt versuche ich damit möglichst großen Einfluss zu nehmen, weil ich die Situation, die wir gerade haben, sowohl als Ärztin als auch als Privatperson nicht länger mittragen kann und möchte. 

Wolfgang: Bist du bei den Parents for Future aktiv?
Mia: Ich bin kein Elternteil – nur Patentante, wenn das zählt. Deshalb würde ich mich auch bei Parents for Future sehen, aber im Moment bin ich in der Gruppe nicht aktiv. Ich war bei den Charité Students for Future und bin jetzt auch freitags bei den Demos dabei. Und ich bin bei Extinction Rebellion aktiv und da engagiert, die Gruppe der Mediziner*innen und anderen Gesundheitsberuf*innen für Extinction Rebellion zu etablieren. Zu den Parents habe ich aber auch Kontakte.

Wolfgang: Wie bist du gerade auf diese Aktion gekommen?
Mia: Ich bin auf diese Aktion gekommen, weil ich die Untätigkeit bzw. das Fehlen einer adäquaten politischen Reaktion auf das Wissen über die Klimakatastrophe in den letzten Jahren nicht mehr hinnehmen kann. Und das vor allem nicht dadurch, dass ich z. B. in der Klinik arbeite und damit das System dort unterstütze. Daher habe ich mich entschieden, dass ich probieren möchte, den Klimastreik jeden Tag zu etablieren.

Wolfgang: Das ist ja eine sehr kreative und ungewöhnliche Aktion – hattest du da Vorbilder oder wie bist du darauf gekommen? 
Mia: Eigentlich habe ich mir die Frage gestellt, sowohl in Anbetracht des massiv zunehmenden Rechtspopulismus als auch auch in Anbetracht der Untätigkeit der Politik, was ich selbst dagegen machen kann. Und das ist, jeden Tag da zu sein und der Politik zu sagen, dass ich das so nicht mittragen kann und dass das so nicht in Ordnung ist. Ich kann mir gut vorstellen, dass, wenn der Protest vor 30 Jahren schon so gewesen wäre, dass genug Menschen jeden Tag aufgestanden wären und gesagt hätten, „So geht es nicht weiter!“, dass man dann eventuell auch eine Änderung schon eher gehabt hätte. Und ich glaube, dass Unterschriften nicht mehr reichen. Eine Unterschrift ist schnell gesetzt, aber Politik merkt erst, dass es ernst ist, wenn Menschen da sind, die nicht mehr weggehen.

Wolfgang: Hast du schon mal so ähnliche Aktionen gemacht?
Mia: Nee, also so kreativ finde ich das auch nicht, mich hier hinzustellen und zu sagen, dass ich bei dem, wie es aktuell ist, nicht mehr mitmachen möchte. All das finde ich nicht so kreativ – das ist ja eigentlich vielleicht auch eine Selbstverständlichkeit. Ich sage, so geht das nicht weiter, wenn die Regierung, die ich mit gewählt habe in irgendeiner Form, anfängt Krieg zu führen. Und das, was im Moment passiert, ist eine Form von Krieg an Menschen im  globalen Süden, Krieg an zukünftigen Generationen – das kann ich einfach nicht mehr mittragen.

Wolfgang: Und – wie ist die Aktion bisher gelaufen? Was für Reaktion hattest du?
Mia: Bis jetzt hatte ich ein bisschen Besuch, über den ich mich sehr gefreut habe. Ich war also nicht die ganze Zeit alleine. Zu Anfang habe ich mich ein bisschen schwer getan, das breit zu verteilen. Ich habe das an manche for Future-Gruppen geschickt und auch an Extinction Rebellion und jetzt sogar Twitter erklärt bekommen und angefangen, das zu nutzen. Mal schauen, was daraus noch wird. Was diese Social-Media-Kanäle betrifft, bin ich nicht ganz die Expertin.

Wolfgang: Was erhoffst du dir am Ende? Oder, wenn es nicht endet, was soll dabei herauskommen? 
Mia: Ich erhoffe mir, dass erwachsene Menschen die Verantwortung übernehmen, die sie haben, und in der Intensität für die Probleme einstehen, die wir im Moment haben. Es sollen am Ende zufriedenstellende Lösungen dabei rauskommen und nicht ein Nichthandeln, wie wir es bis jetzt haben.

Wolfgang: Was wünscht du dir an Unterstützung?
Mia: So viele Menschen wie möglich! Hier und überall auf der Straße. Menschen, die für eine bessere Klimapolitik, für eine solidarische Klimapolitik einstehen. Ich möchte nicht, dass dieses Engagement hinter meinem Ort oder in meiner Familie schon aufhört und auch nicht in einem Land – auch nicht hinter den Grenzen Europas. Es ist ein globales Problem, das wir haben, und das werden wir auch nur als globale Gemeinschaft lösen können. Und da hilft es auch nicht, wenn wir anfangen, uns gegeneinander abzuschotten.

Wolfgang: Hast du noch andere Aktionsideen im Kopf?
Mia: Ja, potentiell schon, aber im Moment werde ich mit dieser Aktion weitermachen und gucken, was daraus wird. 

Wolfgang: Willst du noch nichts verraten? 
Mia: Nein, aber ich bin sehr offen für Menschen, die Lust haben, weitere Aktionen zu planen und zu überlegen natürlich.

Wolfgang: Gibt es irgendetwas, was jetzt noch nicht gefragt oder gesagt wurde? 
Mia: Ich glaube, das Allerwichtigste ist, bei der ganzen Sache zu bedenken, dass es so viele Menschen auf dieser Erde gibt, die wir meistens gar nicht im Blickfeld haben, deren Leben massiv durch die von uns verursachte Klimakatastrophe beeinträchtigt ist. Und das geht hier nicht primär um eine Katastrophe der Zukunft, sondern um eine Katastrophe der Gegenwart. Und das darf man bei dem ganzen Protest nie vergessen. Wir müssen uns des Schadens bewusst sein, den wir jetzt schon angerichtet haben.

Wolfgang: Okay, der vielen Dank, Mia, für das Interview.

Wer noch mehr erfahren möchte, findet auf ze.tt noch einen schönen Artikel über Mias Mahnwache.